Letzte Änderung: August 17. 2023 16:38:25 |
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Geschichte der Siebenbürger Sachsen
von Konrad Gündisch
- Frühgeschichte Siebenbürgens: Land und Völker
- Ansiedlung der Siebenbürger Sachsen
- Leistungen im Mittelalter: Wirtschaft und
Türkenabwehr
- Frühe Neuzeit, Humanismus und Reformation
- Bürger der österreichischen Monarchie
- Selbstbehauptung im Zeitalter des Nationalismus
- Als Minderheit im Königreich Rumänien
- Im kommunistischen Machtbereich
- Ausklang
- Literatur
Vorwort
Die Aussiedler werden im
Alltag meist dem Staat zugeordnet, aus dem sie nach Deutschland gekommen sind:
Die sogenannten Russlanddeutschen werden als "Russen", die Deutschen aus Polen
als "Polen", jene aus Rumänien als "Rumänen" angesehen, bezeichnet und
angesprochen, eine Zuordnung, die die Betroffenen nicht zu Unrecht verletzt, so
wie sie seinerzeit in ihren Herkunftsländern die Gleichsetzung mit dem
nationalsozialistischen Deutschland verletzt hat. Dieser alltägliche
Sprachgebrauch beruht auf der Gleichsetzung von Volkszugehörigkeit und
Staatsangehörigkeit: Begriffe wie Nation und Staat werden dabei als Synonyme
gedeutet, ethnische Unterschiede innerhalb eines Staates vernachlässigt; oft
willkürlich und erst vor wenigen Jahrzehnten gezogene Staatsgrenzen werden auf
die ethnische Zuordnung der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen eines Landes
übertragen.
Diesem politisch-territorialen, sozusagen etatistischen
Nationsbegriff steht jener der Kulturnation entgegen. Er orientiert sich an der
gemeinsamen Abstammung, Sprache, Geschichte und Kultur einer Gruppe, an deren
Bewusstsein, anders, besonders zu sein im Vergleich zu anderen Gruppen; der
Begriff orientiert sich nicht zuletzt an emotionalen Elementen einer sozusagen
"staatslosen" Nation. Die allgemeinsprachliche Gleichsetzung von Volk und Nation
kann in diesem Fall nicht vorgenommen werden, Staat und Volk sind nicht – bzw.
nicht immer und nicht unbedingt – deckungsgleich.
Die Unhaltbarkeit dieser
Gleichsetzung von Staaten und Völkern wird deutlich, wenn wir auf die fast neun
Jahrhunderte siebenbürgisch-sächsischer Geschichte zurückblicken und
feststellen, dass dieselbe Gruppe im Laufe der Jahrhunderte – unter Wahrung
ihrer Eigenständigkeit – sechs verschiedenen Staaten angehört hat:
1. in den
drei ersten Jahrhunderten (von der Ansiedlung um die Mitte des 12. Jahrhunderts
bis 1541) zum mittelalterlichen Königreich Ungarn;
2. anderthalb Jahrhunderte
lang (1541–1699) zum autonomen Fürstentum Siebenbürgen, das unter der
Oberherrschaft des Sultans stand und somit auch zum osmanischen Machtbereich
gehörte;
3. mehr als eineinhalb Jahrhunderte (1699–1867) zu Österreich, im
Rahmen der habsburgischen Donaumonarchie, deren Herrscher bis 1806 in der Regel
auch Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation waren;
4.
1848–1849 für kurze Zeit zum revolutionären Ungarn; nach dem
österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867 für fünf Jahrzehnte zum
ungarischen Teil der habsburgischen Doppelmonarchie;
5. seit 1918 zu
Rumänien, an das Siebenbürgen nach dem Auseinanderbrechen Österreich-Ungarns
gefallen war;
6. seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und ganz besonders
seit den siebziger Jahren sind immer mehr Siebenbürger Sachsen auch in
staatsnationalem Sinne Deutsche, denn sie leben – seit Jahrzehnten, seit Jahren
oder auch nur seit Monaten – als Aussiedler bzw. Spätaussiedler in Deutschland,
sind Bundesbürger. Andere leben heute in den Vereinigten Staaten, in Kanada,
auch in Australien und anderen Staaten, in die sie die Kriegs- und
Nachkriegsereignisse oder auch die eigene freie Entscheidung verschlagen
haben.
Trotz der Brüche, die diese wechselvolle Geschichte im rechtlichen und
sozialen Status wie im Selbstverständnis dieser deutschen Bevölkerungsgruppe im
südöstlichen Ostmitteleuropa bedingt hat, sind auch Kontinuitäten festzustellen,
insbesondere die Wahrung der kulturellen Eigenständigkeit und die Funktion als
Mittler und Vermittler zwischen dem westlichen und östlichen Europa einerseits,
zwischen den Völkern und Kulturen Siebenbürgens andererseits.
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1. Frühgeschichte Siebenbürgens: Land und
Völker
Siebenbürgen (ungarisch Erdély, rumänisch Transilvania, bzw.
Ardeal) wird mit einer natürlichen Festung verglichen, deren Wälle der
Karpatenbogen (Ost- und Südkarpaten, Siebenbürgisches Erzgebirge), deren Tore
aber die Durchbrüche des Samosch, des Mieresch und des Alt oder Gebirgspässe wie
Mesesch, Königstein, Eisernes Tor, Törzburg, Predeal, Bozau, Oitoz, Borgo und
Rodenau bilden. Fruchtbares Acker- und Weideland, reiche Bodenschätze, u. a.
Salz, Edel- und Buntmetalle, nicht zuletzt eine günstige geographische Lage am
Schnittpunkt west-östlicher und nord-südlicher Verkehrswege bieten günstige
Voraussetzungen für wirtschaftliche Entwicklung. Geographische Lage und
natürlicher Reichtum bedingen aber auch – wie bereits kurz umrissen – eine
bewegte politische Geschichte sowie die Koexistenz unterschiedlicher Völker,
Religionen und Kulturen auf relativ kleinem Raum.
Im Altertum war
Siebenbürgen seit Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. Mittelpunkt einer bis nach
Mähren sich ausdehnenden Herrschaftsbildung der Daker. Anfang des 2.
Jahrhunderts n. Chr. wurde Dakien zur Provinz des Römischen Reiches, Teil einer
politischen und kulturellen Gemeinschaft, die weite Teile Europas umfasste und
bis heute weiterwirkt.
Als im 3. Jahrhundert die Angriffe der Wandervölker
massiv einsetzten, gab Rom seine exponierte Provinz Dakien auf und zog sich auf
die leichter zu verteidigende Donaulinie zurück. Sieben Jahrhunderte lang
drangen nacheinander germanische, asiatische und slawische Stämme auf ihren
Wegen von Ost nach West, von Nord nach Süd in Siebenbürgen ein und ließen sich,
angezogen auch von den für die Viehzucht unentbehrlichen Salzvorkommen, für
kürzere oder längere Zeit in Siebenbürgen nieder, u. a. die Goten, Hunnen,
Gepiden, Awaren und Slawen.
Die Magyaren, die sich im 9. Jh. in der
Pannonischen Tiefebene niederließen, nach der Schlacht auf dem Lechfeld bei
Augsburg (955) endgültig sesshaft wurden und unter Stephan dem Heiligen einen
nach abendländischem Vorbild organisierten Staat errichteten, haben die
Geschichte Siebenbürgens entscheidend geprägt. Seit dem 10. Jahrhundert rückten
sie etappenweise in das "Land jenseits der Wälder" (Trans-Silvanien, von
Pannonien aus gesehen) vor, das sie seiner Bodenschätze wegen begehrten und das
sie als natürliches Bollwerk gegen die östlichen Steppenvölker für strategisch
wichtig hielten. Im dünnbesiedelten Land trafen sie auf Petschenegen und Kumanen
sowie auf Vorfahren der Rumänen (weitgehend slavisierte Nachkommen der Daker und
Römer), deren Zahl in den folgenden Jahrhunderten durch natürliche Vermehrung
und Zuwanderung aus den Gebieten südlich der Karpaten stetig angestiegen
war.
Die Magyaren rückten etappenweise in Siebenbürgen vor, Etappen, die im
Gelände an den Spuren eines Schutzsystems festgestellt werden konnten, das die
Ungarn an den jeweiligen Grenzen ihres Reiches anlegten und das sich auf 10–40
km breite Ödlandstreifen (Verhaue, ung. gyepü mit Erdburgen und
Grenzwächtersiedlungen an den passierbaren Stellen (den Toren, ung. kapu)
stützte. Als Wehrbauern wurden an diesen Toren sog. Hilfsvölker angesiedelt, u.
a. die Szekler, denen dafür als Gruppe persönliche Freiheit gewährt wurde.
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2. Ansiedlung der Siebenbürger Sachsen
Nach jedem Vorschieben der Grenze blieb das Ödland der alten
Verhausäume frei und fiel an den König. Die Besiedlung dieses sogenannten
Königsbodens war aus strategischen und wirtschaftlichen Gründen wichtig.
Notwendig erschien es, hier, im Vorfeld der neuerrichteten Verhausäume, eine
kriegstüchtige Bevölkerung anzusiedeln, die zugleich im Stande sein sollte, das
Land durch Rodung urbar zu machen, Ackerbau, Handwerk und Handel zu treiben,
möglichst auch den wachsenden Bedarf an Salz und Edelmetallen durch Erschließung
der Bodenschätze zu decken.
Diesen Aufgaben waren die Ungarn allein wegen
ihrer geringen Bevölkerungszahl nicht gewachsen, auch die Hilfsvölker wurden rar
und der Mangel an qualifizierten Fachkräften machte sich bald besonders im
Bergbau bemerkbar. Die Ungarn erkannten – wie bereits der Staatsgründer Stephan
seinen Sohn Emmerich ermahnte –, dass einwandernde "Gäste verschiedene Sprachen
und Sitten, verschiedene Lehren und Waffen mit sich bringen, die alle Reiche und
den königlichen Hof schmücken und erhöhen"
(Übersetzung aus: Die
Donauschwaben, 1989; 66).
Um solche Gäste musste mit Zusagen, die sie
anlockten, geworben werden. Das waren im Mittelalter vor allem Grundbesitz –
dafür stand der Königsboden der ehemaligen Verhausäume bereit – und Privilegien.
Diese waren auf alle Fälle jene Rechte, die die Umworbenen bereits in ihrer
Heimat besaßen und "in ihren Knochen mitbrachten" ("jus ossibus inhaeret", sagte
man damals). Es mussten aber auch Rechte sein, die darüber hinausgingen, um sie
dazu zu bewegen, das Risiko der Siedlung in ein tausende Kilometer entferntes
Gebiet auf sich zu nehmen: Vor allem persönliche Freiheit und Freizügigkeit
waren damals magische Worte, die eine Standeserhöhung bedeuteten, Sicherheit
boten und besseres Fortkommen versprachen. Sie wurden von den ungarischen
Königen zugesagt und 1224 im Freibrief des Königs Andreas II. schriftlich
festgehalten; diese Zusagen wurden von Ungarn auch über die Jahrhunderte
gehalten.
Die Ansiedlung erfolgte bereits unter Geisa II. (1141–1162), der
Bauern, Handwerker, Kaufleute und niedere Adlige (Ministerialen) aus dem
Rheinland und aus Moselfranken, aus Flandern und aus Luxemburg, aus Thüringen
und aus Niedersachsen, aber auch aus anderen Gebieten des Deutschen Reiches
anwerben ließ und ihnen in der Zips, in der heutigen Slowakei, sowie in
Siebenbürgen, in den frei gewordenen Verhausäumen zwischen Mieresch und Alt,
zwischen Samosch und Ostkarpaten "Königsboden" zugewiesen hat. Ein klar
umrissenes Herkunftsgebiet dieser Siedler ist, da Schriftquellen über diesen
Vorgang weitgehend fehlen, nicht auszumachen und gibt es wohl auch nicht.
Für
diese Siedler unterschiedlicher landschaftlicher Herkunft, die anfangs als
"hospites Theutonici" (deutsche Gäste) oder auch als "Flandrenses" (Flandrer)
bezeichnet wurden, setzte sich die in der ungarischen Kanzlei benutzte
Kollektivbezeichnung "Saxones" (Sachsen) durch, die auch für die deutschen
Siedler in der Zips und die deutschen Bergleute auf dem Balkan (im damals zu
Ungarn gehörenden Bosnien und Kroatien ebenso wie in Serbien und im Osmanischen
Reich) benutzt wurde und offenbar die Inhaber der Privilegien nach dem alten
sächsischen Bergrecht bzw. dem "jus Theutonicum" (dem deutschen Recht)
meinte.
Diese "Siebenbürger Sachsen" haben die ihnen zugewiesenen Gebiete in
kurzer Zeit wirtschaftlich vorangebracht, nicht nur den Boden nutzbar gemacht
und die Agrartechnik verbessert, sondern auch die edelmetallreichen Gebiete der
West- und Ostkarpaten (Siebenbürgisches Erzgebirge, Rodenauer Berge) und die
Salzstöcke im Siebenbürgischen Hochland erschlossen, Gewerbe und Handel
vorangebracht. Bereits 1186 konnte der ungarische König von den "hospites regis
de Ultrasylvas" (den Gästen des Königs jenseits der Wälder) mit Abgaben in Höhe
von 15.000 Silbermark rechnen (Wagner, 1981; 434–435).
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3. Leistungen im Mittelalter: Wirtschaft und
Türkenabwehr
Die aufstrebende Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen
war – wie die anderen Völker dieses Raumes – durch den Mongolensturm von 1241
einer schweren Belastung ausgesetzt. Die "tatarischen" Reiter fielen fast
gleichzeitig über mehrere Karpatenpässe in das Land ein, überwanden das alte
Grenzschutzsystem fast mühelos, besiegten das ungarische Ritterheer bei Mohi,
verwüsteten ganze Landstriche. Auf zunächst erfolgreichen Widerstand stießen sie
offenbar nur bei den Sachsen. In der Bergstadt Rodenau, berichtet ein
Zeitgenosse, stellte sich der Stadtrichter Ariscaldus mit "sechshundert
auserlesenen deutschen Bewaffneten" den Mongolen entgegen. Erst durch eine List,
einen vorgetäuschten Rückzug, auf den die Verteidiger "wie es die deutsche
Leidenschaft erfordert", mit einem siegestrunkenen Vollrausch reagierten, konnte
der Ort erobert werden (Zitat nach: Gündisch, 1998; 45).
Der Mongoleneinfall
bewirkte eine Neuorientierung der ungarischen Verteidigungs- und
Wirtschaftspolitik, die nun zunehmend auf die Städte als Bollwerke gegen fremde
Eindringlinge und als Katalysatoren der ökonomischen Entwicklung setzte. Zu
diesem Zweck wurden neue Siedler angeworben, strategisch und handelspolitisch
wichtige Orte durch Privilegien und Steuervergünstigungen gefördert. Entlang des
Karpatenbogens, vorrangig in der Nähe der Pässe entstand eine Kette deutscher
Handels- und Gewerbezentren wie Bistritz, Kronstadt, Hermannstadt, Mühlbach und
Klausenburg, die sich zu den Bergstädten Rodenau, Offenburg, Thorenburg und
Großschlatten gesellten.
Die Städte, deren Entwicklung unter den ungarischen
Königen Karl I. Robert von Anjou (1308–1342), seinem Sohn Ludwig I. dem Großen
(1342–1382) und unter Sigismund von Luxemburg (1387–1437) konsequent gefördert
wurde, bewirkten den Übergang von der Natural- zur Geldwirtschaft und bezogen
das örtliche Gewerbe wie die Getreide- und Viehproduktion des Umlandes in den
europäischen Warenverkehr ein. Die erste erhaltene Zunftordnung weist 1376 auf
eine fortgeschrittene Differenzierung des Handwerks hin, die einem Vergleich mit
westeuropäischen Städten durchaus standhält: 25 Gewerbe waren in 19 Zünfte
zusammengeschlossen. Die Städte wurden zu wirtschaftlichen und kulturellen
Mittelpunkten des Landes. Sie übernahmen Verfassungs- und Rechtsnormen deutscher
Städte, zum Teil das Magdeburger und das Iglauer Stadtrecht, oder arbeiteten
bereits 1271 ein eigenes deutsches "Bergrecht von der Rodenaw" aus.
Die
ummauerten Städte waren seit dem Ende des 14. Jahrhunderts der wirksamste Schutz
gegen die wachsende Bedrohung durch die osmanischen Türken, die 1395 erstmals in
Siebenbürgen einfielen. Die Städte widerstanden auch längeren Belagerungen und
behinderten den Vormarsch größerer Truppenverbände, während die befestigten
Dorfkirchen Schutz gegen kleinere Beutezüge boten.
Mit diesem einzigartigen
System der Wehrkirchen und befestigten Städte fügten sich die Siebenbürger
Sachsen in das vielgerühmte "antemurale Christianitatis" ein, in die Vormauer
der Christenheit, welche die südosteuropäischen Völker gegen die vordringenden
Türken gebildet hatten. Nach dem Fall von Konstantinopel (1453) konnte der
Bürgermeister von Hermannstadt stolz schreiben, seine Stadt sei nun "nicht
allein des Königreichs Ungarn, sondern auch der ganzen Christenheit Schild und
Schirm" (Urkundenbuch 5, 1975; 446–447).
Die osmanische Bedrohung, aber auch
die Gefährdung des privilegierten Rechtsstandes durch den ungarischen Adel
bestimmten das städtische Bürgertum – angeführt von seiner patrizischen
Oberschicht (Gräfen, später Kaufleute, reiche Handwerker und Bergbauunternehmer)
– die Initiative zum politischen Zusammenschluss der deutschen
Siedlergemeinschaften zu ergreifen, die in vier territorial nicht ganz
zusammenhängenden Gebieten lebten (den sogenannten Sieben Stühlen der
Hermannstädter Provinz, den Zwei Stühlen des Kokelgebietes, dem Nösner- und dem
Burzenländer Distrikt). Unter Rückgriff auf die Vorgabe des Andreanischen
Freibriefs von 1224 ("unus sit populus" – einig sei die Gemeinschaft) wuchsen
diese zur Sächsischen Nationsuniversität (Universitas Saxonum, d. h. Gesamtheit
der Sachsen) zusammen, der übergeordneten politischen, administrativen und
gerichtlichen Instanz der freien Deutschen aus Siebenbürgen, einer Institution,
die in manchem den Städtebünden in Westeuropa ähnlich ist. Der langwierige
Prozess fand 1486 seinen Abschluss.
Es entstand damit ein starkes
Gemeinwesen, das sich selbst verwaltete und dessen Bevölkerung allmählich zu
einem Volk deutscher Muttersprache zusammenwuchs, mit dem eigentümlichen Dialekt
einer Reliktmundart, die dem Luxemburgischen ähnelt, zu einem Volk mit einer
besonderen Rechtsstellung im mittelalterlich-ungarischen, sich ständisch
gliedernden Staat, mit eigenen Bewusstseinsinhalten, Erfahrungsräumen und
Bewertungsmaßstäben und mit einem besonderen Zusammengehörigkeitsgefühl. Die
Sächsische Nationsuniversität repräsentierte einen Stand freier privilegierter
Bürger und Bauern, war dessen Interessenvertretung im siebenbürgischen Landtag,
dem außerdem der ungarische Adel und die freien szeklerischen Wehrbauern
angehörten.
Das Wort "Nation" wurde damals im Sinne von Stand gebraucht –
die Nationsuniversität repräsentierte ebensowenig wie die ungarischen
Adelskongregationen die Hörigen gleicher Sprach- bzw. Volkszugehörigkeit. Ebenso
wie die ungarischen oder die rumänischen Hörigen, die übrigens damals schon die
Bevölkerungsmehrheit in Siebenbürgen bildeten, waren die auf Adelsboden lebenden
Deutschen in Siebenbürgen durch die Nationsuniversität nicht vertreten.
Dieser unter "Nationsuniversität" subsummierte Nationsbegriff ist also
primär nicht Ausdruck einer Volks-, sondern einer Standeszugehörigkeit, als
Nebenprodukt verfassungsgeschichtlicher Abläufe das Ergebnis des bewussten
Strebens nach Zusammenschluss und Verteidigung von Rechtspositionen einer
privilegierten Gruppe. Insoweit weist die Nationsuniversität auch über den
Rahmen der mittelalterlichen Universitäts- oder Konzilsnationen hinaus
(siebenbürgisch-sächsische Studierende hatten überhaupt keine Hemmungen, sich
nach dem Territorialitätsprinzip der "natio Hungarica", der ungarländischen
Studentengruppe, anzuschließen). Sie bewährte sich deshalb in der frühen
Neuzeit.
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4. Privilegierter Stand in der Frühen Neuzeit
Humanismus und Reformation
Die Frühe Neuzeit setzte im Königreich
Ungarn mit einer Katastrophe ein: 1526 wurde das Reich von Sultan Sülejman dem
Prächtigen bei Mohács vernichtend geschlagen, König Ludwig II. fiel in der
Schlacht. Aufgrund von Erb- und Eheverträgen stand die Krone Ungarns nun den
Habsburgern zu, doch konnten sie ihre Ansprüche nur in West- und Nordostungarn
durchsetzen, während Mittelungarn von den Osmanen besetzt und 1541 in ein
Paschalyk (eine türkische Provinz) umgewandelt wurde, Siebenbürgen sich aber zu
einem autonomen Fürstentum entwickelte, das die osmanische Oberherrschaft
anerkannte.
In diesem Fürstentum kam den drei privilegierten Ständen des
ungarischen Adels, der freien Szekler und der Sachsen eine entscheidende Rolle
zu: Sie waren im Landtag vertreten, wo sie mit dem sogenannten Kuriatvotum über
ein Vetorecht verfügten und somit Gesetze blockieren konnten, die den
Partikularinteressen des jeweiligen Standes zuwiderliefen; sie wählten den
Fürsten und ernannten die Ratgeber des Fürsten, der dem ungarischen Adel
entstammte. In die eigenen Angelegenheiten einer Nation durften sich weder die
beiden anderen Stände noch der Landesfürst einmischen. Nicht zu Unrecht wird
darum diese Periode als eine Blütezeit der ständischen Selbstverwaltung der
Siebenbürger Sachsen angesehen.
Weniger erfreulich verlief die politische und
wirtschaftliche Entwicklung. Siebenbürgen wurde im 16.–17. Jahrhundert in das
säkulare Ringen zwischen Habsburgern und Osmanen hineingerissen. Die
österreichische Dynastie gab ihre Ansprüche auf das strategisch wichtige
Siebenbürgen nicht auf, doch fehlte ihr vorerst die Kraft, diese auch
durchzusetzen. Der ungarische Adel widersetzte sich diesen Ansprüchen, die
Siebenbürger Sachsen akzeptierten sie, aus Verbundenheit zu einem deutschen
Herrscherhaus und in der Hoffnung auf westliche Unterstützung gegen die Türken.
"Möge Gott uns Frieden geben unter unserem deutschen König" schreibt der aus
Nürnberg stammende Hermannstädter Bürgermeister Petrus Haller im Jahre 1551
(Zitat nach: Gündisch, 1998; 80). Dieser Ausspruch deutet auf eine emotionale
Komponente des Selbstverständnisses hin, das die Siebenbürger Sachsen im
Zeitalter des Humanismus und der Reformation entwickelt haben. Zu den
Autostereotypen (Selbstbildern) vom freien, privilegierten Stand und vom
Schutzschild der Christenheit gesellt sich jenes von der deutschen
Volkszugehörigkeit.
Das hängt mit der kirchlichen Erneuerung bei den
Siebenbürger Sachsen in den vierziger Jahren des 16. Jahrhunderts zusammen. Ein
Kronstädter Ratsherr namens Johannes Honterus, der in Wien studiert und sich in
Krakau und Basel als Buchdrucker und Humanist betätigt hatte, betrieb sie im
geistig-geistlichen Bereich im Sinne Martin Luthers und verfasste ein
Reformationsbüchlein, das der Hermannstädter Bürgermeister Peter Haller nach
einer gewissen Umarbeitung als "Kirchenordnung aller Deutschen in Sybembürgen"
drucken ließ und im weltlich-politischen Bereich durchsetzte. 1550 beschloss die
Nationsuniversität, diese Kirchenordnung in allen Städten und Gemeinden des
Sachsenlandes einzuführen. Damit schufen sich die Siebenbürger Sachsen eine sog.
geistliche Universität, eine Volkskirche, der im Laufe der Zeit auch wichtige
weltliche Aufgaben in diesem christlich geprägten Genossenschaftswesen zufallen
sollten, die "ecclesia Dei nationis Saxonica" (die Kirche Gottes der sächsischen
Nation).
Den Bestimmungen der Kirchenordnung entsprechend wurde das
Schulwesen in Stadt und Land neu organisiert, ebenso die Armen- und
Krankenfürsorge. Absolventen der Gymnasien wurden nun mit Stipendien auf
protestantische Universitäten in Deutschland geschickt, der über Jahrhunderte in
Handwerk, Handel und Bildung gepflegte Kontakt zum "Mutterland" wurde im Bereich
des Hochschulbesuchs sozusagen institutionalisiert.
In Kirche und Schule
wurde nunmehr Deutsch gesprochen und das Augsburger Bekenntnis hochgehalten,
während die Ungarn und Szekler reformiert, unitarisch oder katholisch waren und
die Rumänen griechisch-orthodox blieben. Glaube und Volkstum wurden auf diese
Weise zu Synonymen, wobei man sich aber bereits 1557 auf Initiative der
Sächsischen Nationsuniversität erstmals in Europa auch zur religösen Toleranz
durchzuringen vermochte, nämlich "dass jeder den Glauben behalten könne, den er
wolle, mit neuen und alten gottesdienstlichen Gebräuchen und in Sachen des
Glaubens ihrem Gutdünken überlassen, dass geschehe was ihnen beliebt, jedoch
ohne Beleidigung irgendjemandes" (Wagner, 1981; 121–122).
Evangelisch-lutherisches Bekenntnis, bei Duldung anderer Konfessionen, wurde
damit zu einer weiteren und wesentlichen Komponente siebenbürgisch-sächsischen
Selbstverständnisses.
1583 fasste die Nationsuniversität die überlieferten
Rechtsgewohnheiten zusammen, ergänzte sie mit Klauseln des römischen Rechts und
ließ sie vom Landesherren, dem Fürsten Stephan Báthory, der damals auch
polnischer König war, bestätigen: "Der Sachsen in Siebenbürgen Statuta oder
eygen Landrecht." Das Gesetzbuch, das allen Mitgliedern der Nationsuniversität
persönliche Freiheit, Eigentumsrecht und Rechtsgleichheit zusprach, blieb bis
1853 in Gebrauch. Die Gleichheit vor dem Gesetz, die darin zum Ausdruck kommt,
entsprach allerdings nicht voll den Tatsachen, denn soziale Unterschiede gab es
selbstverständlich auch in der siebenbürgisch-sächsischen Gesellschaft,
Konflikte zwischen Patriziat und Unterschichten wurden im 17. Jahrhundert
besonders virulent. Im Bewusstsein der Gruppe hat sich hingegen – auch unter dem
Einfluss ihrer Historiker – der Topos von einer Gesellschaft durchgesetzt, "da
keiner Herr und keiner Knecht", von einer jahrhundertealten Demokratie, die auf
Wahl der politischen und kirchlichen Repräsentanten gründete. Diese Komponente
des siebenbürgisch-sächsischen Selbstverständnisses ignoriert die sozialen
Strukturen ebenso wie den Umstand, dass nur Besitzende wählbar waren oder dass
die siebenbürgisch-sächsischen Hörigen an dieser Art der Demokratie keinen
Anteil hatten, ebenso wenig wie die abhängigen Rumänen, die sich auf Königsboden
niedergelassen haben.
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5. Bürger der österreichischen Monarchie
Aus dem Ringen zwischen Habsburgern und Osmanen ging am Ende des 17.
Jahrhunderts – nach Abwehr der türkischen Belagerung von Wien (1683) und nach
mehrjährigen Kämpfen unter Feldherren wie Herzog Karl von Lothringen, Markgraf
Ludwig von Baden (dem "Türkenlouis") und Prinz Eugen von Savoyen ("dem edlen
Ritter") – eine neue, abendländisch orientierte Großmacht in Mittel- und
Südosteuropa hervor, die habsburgische Donaumonarchie.
Der Erwerb
Siebenbürgens war dabei für die Habsburger von großer strategischer und
politischer Bedeutung, wie einer Denkschrift des kaiserlichen Generals Caraffa
aus dem Jahr 1690 zu entnehmen ist: "Das Fürstentum ist von der Natur zur
Citadell angelegt, von welcher aus alles, was zwischen Donau, Mähren, dem
schlesischen und polnischen Gebirge lieget, dominiert und im Zaum gehalten
werden kann." Als Grundkraft und Zierde Siebenbürgens ("nervus ac decus
Transilvaniae") wird dessen deutsche Bevölkerung bezeichnet, "diese redliche und
wohlintentionierte Nation", zumal das Land sonst "dem Haus Österreich gegenüber
von jeher aufsässig" gewesen sei (Zitat nach: Gündisch, 1998; 104).
Doch auch
die Sachsen begegneten den Habsburgern mit einer gewissen Skepsis: Sie
fürchteten sich vor der zügellosen Soldateska, vor neuen Abgaben und Steuern,
vor dem gegenreformatorischen Eifer des Kaisers, sie wollten ihren in anderthalb
Jahrhunderten ausgebauten Status eines dritten, das Schicksal des Landes
mitbestimmenden Standes nicht gefährden. Der sogenannte Schusteraufstand in
Kronstadt (1688) brach aus dieser antihabsburgischen Stimmung heraus aus.
Die führenden Politiker der Siebenbürger Sachsen aber – so ihr Komes
Valentin Frank (später mit dem Prädikat "von Frankenstein" geadelt) und ihr
Provinzialnotar Johannes Zabanius (später "Sachs von Harteneck") – wirkten für
das deutsche Kaiserhaus und handelten, zusammen mit Vertretern der beiden
anderen Stände, das sogenannte Leopoldinische Diplom von 1691 aus, das die
geltende Landesverfassung und damit die Vorrechte der drei ständischen Nationen
und die Religionsfreiheit bestätigte. Dieses Diplom blieb bis 1848 sozusagen das
Grundgesetz von Siebenbürgen. Der Friede von Karlowitz (1699) bestätigte die
habsburgischen Neuerwerbungen. Siebenbürgen wurde aus dem türkisch-balkanischen
Machtbereich entlassen und gehörte nunmehr wieder zu Mitteleuropa.
Es folgte
die stufenweise Eingliederung in den Gesamtkomplex der habsburgischen Länder, im
Sinne des vereinheitlichenden Absolutismus jener Zeit. Gegen den Partikularismus
der Stände, die eifersüchtig auf Wahrung ihrer Privilegien achteten, setzte sich
der Zentralismus des Wiener Hofes durch.
Die Siebenbürger Sachsen mussten
dabei an mehreren Fronten kämpfen:
– Der katholische Kaiser wollte ihre
evangelische Volkskirche schwächen und ihre ständische Sonderstellung
beseitigen, bis hin zur Zerschlagung der Nationsuniversität; vor allem in den
ersten Jahren belastete er sie mit ungeheuren Kontributionen.
– Der
ungarische Adel bedrohte ihre Rechtslage und Fiskalautonomie, weil er sich auf
Königsboden niederlassen, dort aber keine Abgaben entrichten wollte.
– Die
Rumänen, deren Zahl im 17. Jh. jäh angestiegen war, als sie sich in durch Kriege
und Seuchen leer gewordenen sächsischen Dörfern niedergelassen hatten,
beanspruchten nun das Bürgerrecht und ließen damit Überfremdungsängste
aufkeimen.
Die Siebenbürger Deutschen mussten also einerseits den schweren
Weg von der ständischen Nation, die weitgehend ihr Schicksal selbst bestimmt
hatte, zur nationalen Minderheit beschreiten; andererseits aber wurden sie auch
gestärkt, weil sie wieder in enge Verbindung zum Reich treten konnten. Zudem
garantierte die Eingliederung in ein gut organisiertes Staatswesen für lange
Zeit Frieden und geordnete Verhältnisse, so dass sich die wirtschaftliche Lage
stabilisieren konnte.
"Fidem genusque servabo" – ich diene meinem Glauben und
meinem Volk – ist der Wahlspruch jenes Siebenbürger Sachsen, der es in der
Hierarchie des österreichischen Staates am weitesten gebracht hat: Samuel von
Brukenthal. Ihm ist es gelungen, unter einer "allerkatholischen Majestät" wie
Maria Theresia (1740–1780) und in einer Zeit katholischen Proselytentums, des
Glaubenswechsels aus Karrieregründen, Gouverneur von Siebenbürgen (1777–1787) zu
werden, ohne sich selbst zu verleugnen. Er verband selbstbewusst und geschmeidig
den treuen Dienst für das Herrscherhaus mit der Interessenvertretung seiner
Mitbürger. Er schützte deren lutherische Volkskirche, wehrte Angriffe auf ihre
privilegierte Rechtsstellung ab und versuchte, sie vor Überfremdung zu
bewahren.
In seiner Argumentation gegen die Gewährung des Bürgerrechts auf
Sachsenboden an ungarische Adlige oder rumänische Untertanen pries Brukenthal
die Rechtsgleichheit und das Gemeinschaftsbewusstsein der Mitglieder der
Sächsischen Nationsuniversität und bündelte die Komponenten des damaligen
Selbstverständnisses der Siebenbürger Sachsen in den Sätzen: "Kein Magnat oder
Edelmann ist in der Sächsischen Nation von Abgaben frei, alle zahlen von Grund
und Boden, von ihrer Habschaft und allem, was sie haben. Sie tragen die gemeinen
Lasten gemeinschaftlich, stellen ihren Anteil an der Kriegsmannschaft. Kein
Einzelner darf die Gerechtigkeitspflege ausüben, nur gewählte Communitäten, die
sie vertreten und das ganze Volk vorstellen." Er wies seine Kaiserin auf das
Deutschtum ihrer Untertanen hin, die sich "seit sie aus ihrem Vaterlande, den
deutschen Provinzen, berufen worden, niemals vermischt". Schließlich schilderte
Brukenthal der Kaiserin die drohende Gefahr: "Anstatt ein einzelnes bestimmtes
Individuum zu sein, würde er das Gemisch von vielen werden, und, ohne die Tugend
des Volkes, von dem er abstammt zu besitzen, würde er seine Fehler und die
Gebrechen aller an sich haben, mit denen er vermengt sein würde" (Zitat nach:
Gündisch, 1998, 121).
Mit seinen Reformen, die eigentlich einen modernen
Einheitsstaat mit einer zusammenwachsenden "natio austriaca" (österreichischen
Nation) gleichberechtigter Bürger schaffen wollte, hatte Kaiser Josef II.
(1780–1790) eine Lawine losgetreten, die dem Vielvölkerstaat zum Verhängnis
werden sollte: Er wandte sich "an meine Völker" und wollte aus ihnen ein Volk
machen; diese ordneten sich aber nicht einer gemeinsamen Staatsidee unter,
sondern entwickelten ein eigenes Nationalbewusstsein. Der Nationalismus wurde
zum beherrschenden Thema der folgenden Jahrhunderte.
Josefs Maßnahmen, die
den ständischen Partikularismus in Siebenbürgen beseitigen wollten, trafen vor
allem jenen der Siebenbürger Sachsen. Überzeugt davon, dass die "Difficultäten
zwischen den Nationen nicht aufhören, wenn nicht alle Siebenbürger werden"
(Zitat nach: Gündisch, 1998, 124), setzte Josef das Leopoldinische Diplom außer
Kraft. Er löste die Sächsische Nationsuniversität auf und öffnete mit dem
Konzivilitätsreskript Schleusen: Ungarn und Rumänen konnten sich nun auf
Sachsenboden niederlassen und wurden "in allen Rechten gleichgehalten",
Garantien für die Fortdauer einer Gruppe, die nur 10 % der Landesbevölkerung
ausmachte, wurden aber nicht gegeben. Josef II. widerrief zwar, wie bekannt,
seine "Revolution von oben", ihre Wirkungen konnten jedoch nicht einfach
rückgängig gemacht werden. Den Siebenbürger Sachsen zeichneten sie die Zukunft
vor: die Existenz als nationale Minderheit unter dem Druck eines fremden
Nationalismus – des ungarischen im 19. und des rumänischen im 20. Jahrhundert.
Sie waren nicht mehr eine der drei tragenden Säulen der ständestaatlichen
Verfassung, ihre mittelalterlichen Privilegien waren auf Dauer nicht zu halten.
Ihre Existenzberechtigung leiteten sie zunehmend aus der Wirtschaftskraft, aus
einem wachsenden deutschen Selbstbewusstsein und vor allem aus kulturellen
Leistungen ab.
Auf Brukenthal und Josef II. sowie auf deren Zeit folgten die
sogenannten "stillen Jahre". Eine "sächsische Gewohnheitsaristokratie", vom
Metternichschen System gefördert, stellte sich einer geistigen und
wirtschaftlichen Erneuerung in den Weg. Erst im Vormärz lockerten sich diese
verkrusteten Strukturen. Sparkassen wurden gegründet, die dem Kapitalmangel in
Gewerbe und Handel abhelfen wollten. Landwirtschafts- und Gewerbevereine
ermöglichten die Einführung neuer Technologien. Im wissenschaftlichen Bereich
schuf der 1840 gegründete Verein für siebenbürgische Landeskunde den Rahmen für
intensivere Forschungen. Er stand "jeder Nation und jedem Stand" offen – ein
Novum. Wie in ihrer damals entstandenen Volkshymne, die Siebenbürgen als "Land
des Segens" pries, um dessen Söhne sich "der Eintracht Band" schlingen solle,
versuchten die Sachsen, sich in einer nationalistisch geprägten Zeit als
ausgleichendes Element im nun ausbrechenden ungarisch-rumänischen Konflikt zu
profilieren.
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6. Selbstbehauptung im Zeitalter des
Nationalismus
Während der Revolution von 1848/49 waren solche auf
Ausgleich pochende Stimmen nicht gefragt. Ihr profiliertester Wortführer, der
Pfarrer Stephan Ludwig Roth, wurde von ungarischen Revolutionären hingerichtet,
nicht zuletzt weil er darauf hingewirkt hatte, dass die Sächsische
Nationsuniversität am 3. April 1848 die volle Gleichberechtigung der auf ihrem
Gebiet wohnenden Rumänen beschloss.
Hauptthema war nun die Vereinigung
Siebenbürgens mit dem von Habsburg abgefallenen Ungarn des Revolutionsführers
Lajos Kossuth. Ihr widersetzten sich die Siebenbürger Sachsen und die Rumänen.
Beide orientierten sich nun auf ein Staatsvolk, das außerhalb der
österreichischen oder ungarischen Grenzen lag: Die Rumänen dachten an die
Vereinigung Siebenbürgens mit der Moldau und der Walachei zu einem rumänischen
Staat, die Sachsen aber, vor allem ihre Jugendlichen, schwärmten für die
Frankfurter Nationalversammlung. Ihr schrieben sie im Jahre 1848: "Alle Welt ist
deutscher Kinder voll. Auch wir sind Sprösslinge dieser Wurzeln. Geographisch
getrennt und auf der Oberfläche des Bodens ohne sichtbare Berührung mit dem
Mutterlande leben wir doch durch die Presse, durch die Universitäten, durch
Wanderungen unserer Gewerbsleute, durch Erinnerungen der Vergangenheit und
Hoffnungen der Zukunft mit und durch Deutschland ... Wir sind stark, wenn
Deutschland es ist ... Wir wollen sein und bleiben, was wir immer gewesen sind,
ein ehrlich deutsches Volk und auch ehrliche treue Bürger desjenigen Staates,
dem wir angehören" (Roth 7, 1964, 78–80).
Dieses Bekenntnis zum Deutschtum,
verbunden mit dem Bekenntnis zu dem Staat, in dem sie leben, beherrschte die
nächsten hundert Jahre der siebenbürgisch-sächsischen Geschichte. Es half
zunächst, die Folgen des österreichisch-ungarischen Ausgleichs (1867) zu tragen:
– die Eingliederung Siebenbürgens in den ungarischen Teil der nunmehrigen
Doppelmonarchie
– den weitgehenden Verlust der politischen Mitsprache und
– die plötzliche Realität, eine Minderheit zu sein, deren Vertretung, die
Nations-universität, 1876 aufgelöst wurde
– den wachsenden
Magyarisierungsdruck
– die Enttäuschung über das habsburgische
Herrscherhaus.
Das Bismarckreich von 1871 zog nunmehr die Sachsen in seinen
Bann und wurde von ihnen idealisiert.
An die Stelle der aufgelösten
Nationsuniversität trat die Volkskirche als Refugium der eigenen Identität. Ihr
"Sachsenbischof" wurde zur Integrationsfigur und anerkannten geistlichen wie
weltlichen Autorität. Kirchenführer wie die Bischöfe Georg Daniel Teutsch
(1817–1893) und sein Sohn Friedrich (1852–1933) schufen innerhalb der Kirche
Nischen, in denen der Magyarisierung widerstanden werden konnte. Die
evangelisch-lutherische Kirche wurde zur Kirche der Deutschen in Siebenbürgen
schlechthin: Hier wurde weiterhin deutsch gepredigt, das konfessionelle und
damit dem staatlichen Zugriff weitgehend entzogene Schulwesen wurde ausgebaut,
die deutsche Unterrichtssprache konnte beibehalten werden. Als Ersatz für den
verlorenen politischen Status boten die beiden Teutschs mit ihrer vierbändigen
"Geschichte der Siebenbürger Sachsen für das sächsische Volk" einen zum Teil
verherrlichenden Rückblick auf die glorreiche Vergangenheit und stärkten damit
das Selbstbewusstsein ihrer Landsleute. Das ausgeprägte Geschichtsbewusstsein,
das die Siebenbürger Sachsen bis heute kennzeichnet, geht auf ihr Wirken zurück.
Im Unterschied zu anderen Bevölkerungsgruppen aus Transleithanien, deren Elite
in der ungarischen Politik und Kultur aufging, widerstanden die Siebenbürger
Sachsen der Magyarisierung.
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7. Als Minderheit im Königreich Rumänien
Als der österreichisch-ungarische Vielvölkerstaat als Folge des
Ersten Weltkrieges in mehrere Nationalstaaten zerfiel, wobei Siebenbürgen dem
altrumänischen Königreich angeschlossen wurde, fiel es den Siebenbürger Sachsen
nicht besonders schwer, dieser Entwicklung zuzustimmen, zumal die Rumänen am 1.
Dezember 1918 in Karlsburg "die volle nationale Freiheit für die mitwohnenden
Völker" zugesagt hatten (Wagner, 1981; 265–266). Der Vertrag von Trianon (1920)
trug dieser Zustimmung Rechnung und sanktionierte die Vereinigung Siebenbürgens
mit Rumänien. Auch der Minderheitenschutz (Gleichberechtigung, kirchliche und
kulturelle Autonomie, politische Repräsentation, Gebrauch der Muttersprache und
eigenes Schulwesen) wurden vertraglich abgesichert.
In der Praxis wurden
diese Zusagen nie widerrufen, aber auch fast gar nicht angewandt. Die neue
Verfassung von 1923 beachtete sie kaum, die Agrarreform traf vor allem die
sächsischen Körperschaften: Die Kirche verlor etwa 55 % ihres Grundbesitzes, die
Gemeinden über 50 % der Gemeinerde, die Stiftung "Sächsische
Nationsuniversität", die nach 1876, nach der Auflösung der gleichnamigen
Institution, den sächsischen Gemeinbesitz verwaltet und die Erträge vorrangig
für das deutschsprachige Schulwesen zur Verfügung gestellt hatte, verlor große
Teile ihres Grundbesitzes. Schulgesetze bedrohten das eigenständige
Unterrichtswesen, kleinliche Schikanen der Behörden gesellten sich dazu; die
neue, vor allem aus dem rumänischen Altreich rekrutierte und sich am
französischen Zentralstaat orientierende Führungsschicht brachte für die
nationale Frage kein Verständnis auf.
Die Politiker der rund 225.000
Siebenbürger Sachsen wirkten deshalb für den Zusammenschluss mit den anderen
deutschen Siedlergemeinschaften des Landes (den Banater Schwaben, den Bukowina-
und Bessarabiendeutschen u.a., zusammen rund 745.000 Bürger) zum Verband der
Deutschen in Rumänien. Zugleich wurden sie in der internationalen
Minderheitenbewegung aktiv. Wesentliche Verbesserungen konnten jedoch nicht
durchgesetzt werden und die Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre vergrößerte
die allgemeine Unzufriedenheit.
So konnten auch unter den im Grunde
liberal-konservativ eingestellten Siebenbürger Sachsen radikal-nationale
Bewegungen Fuß fassen, die nach 1933 zunehmend in den Sog der
nationalsozialistischen Volkstumspolitik Hitlers gerieten. Das wirkte sich
verheerend aus. Der vermeintliche nationale Höhenflug in der Zeit des
Nationalsozialismus sollte das Ende eines geschichtlich gewachsenen Eigenlebens
einläuten. Die Siebenbürger Sachsen wurden in eine Globalstrategie einbezogen,
die die "Deutsche Volksgruppe in Rumänien" als Hebel benutzte, um das Land dem
deutschen Einflussbereich einzuverleiben. Dem "sächsischen" Selbstverständnis
wurde "deutsches" Sendungsbewusstsein aufgepfropft, die alte politische Klasse
entmachtet, gleichgeschaltet oder durch Personen ersetzt, die von
reichsdeutschen Parteistellen gelenkt wurden. Die Schulen wurden der kirchlichen
Obhut entzogen, die Kirchenführung ausgewechselt.
Der sogenannte Zweite
Wiener Schiedsspruch, unter maßgeblicher Beteiligung der deutschen
Reichsregierung zustandegekommen, riss die Siebenbürger Sachsen erstmals in
ihrer Geschichte politisch auseinander: Nordsiebenbürgen wurde Ungarn
zugesprochen, Südsiebenbürgen verblieb bei Rumänien. Immer offener mischte sich
die deutsche Reichsführung in die Angelegenheiten der Volksgruppe ein, bis hin
zu einem zwischenstaatlichen Abkomen mit Rumänien, das den Kriegsdienst
rumänischer Staatsbürger deutscher Herkunft in der Wehrmacht bzw. in der
Waffen-SS vorsah (1943). So kam es, dass die Siebenbürger Sachsen während des
Zweiten Weltkrieges in drei Heeren dienten, die älteren Südsiebenbürger im
rumänischen, die jüngeren im deutschen, die älteren Nordsiebenbürger im
ungarischen, die jüngeren im deutschen. In allen drei wurden sie Opfer eines
sinnlosen und verbrecherischen Krieges, manchmal leider auch Täter.
Das
Ergebnis dieses Krieges ist bekannt. Am 23. August 1944 schloss Rumänien im
Angesicht der vormarschierenden Sowjetarmee einen Waffenstillstand ab und
erklärte kurz danach seinem bisherigen Verbündeten den Krieg. In
Nordsiebenbürgen erkannte der deutsche General Artur Phleps, ein Siebenbürger
Sachse, dass die Situation aussichtslos und für seine Landsleute gefährlich war;
er ordnete die Evakuierung der Deutschen aus dem Nösnerland an. In Trecks zogen
sie nach Österreich, viele sind später nach Nordrhein-Westfalen übersiedelt, wo
sie heute noch leben. In Südsiebenbürgen konnte ein ähnlicher Plan nicht mehr
durchgeführt werden. Anfang September 1944 besetzten sowjetische Truppen
Hermannstadt.
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8. Im kommunistischen Machtbereich
Unter dem Druck der sowjetischen Truppen erfolgte die stufenweise
Machtübernahme durch die Kommunisten in Rumänien. Im März 1945 wurde eine
kommunistische Regierung eingesetzt, im Dezember 1947 musste König Michael von
Hohenzollern das Land verlassen. Roter Terror überzog das Land: Bürgerliche
Politiker und Intellektuelle wurden interniert, politische Parteien verboten,
die Wirtschaft verstaatlicht, die konfessionellen und privaten Schulen
aufgelöst, die Sozialisierung der Landwirtschaft eingeleitet.
Die Deutschen
des Landes wurden – obwohl sie kaum Schuld am Kriegsgeschehen traf – in eine Art
nationale Sippenhaft genommen. Im Januar 1945 erfolgte die Deportation der
arbeitsfähigen Männer und Frauen zum Wiederaufbau in die Sowjetunion, unter
ihnen etwa 30.000 Siebenbürger Sachsen. Sie wurden durch Hunger, Kälte und
Seuchen dezimiert, etwa ein Drittel starb eines elenden Todes; die Überlebenden
schufteten z. T. bis 1952 in den Kohlebecken Russlands, und der Rücktransport
eines guten Teils erfolgte nicht in die Heimat, sondern in die sowjetische
Besatzungszone Deutschlands. Die bereits Leidgeprüften wurden so für Jahre und
Jahrzehnte von ihren Familien getrennt.
In Siebenbürgen blieben die Sachsen
jahrelang politisch rechtlos und waren als "Hitleristen" der behördlichen
Willkür ausgesetzt. Durch die Agrarreform von 1945 wurden etwa 60.000 sächsische
Bauern enteignet. Sie mussten ihre Höfe verlassen, die ihnen erst 1956 –
inzwischen völlig verwahrlost – zurückgegeben wurden. In den Städten wurden
nicht nur die Großbetriebe und Banken verstaatlicht, sondern auch die kleinen
Handwerker und Kaufleute enteignet, ihre Häuser wechselten den Besitzer. Vom
Genuss der 1945 zugesagten Minderheitenrechte wurden sie ausdrücklich
ausgeschlossen, auch das Wahlrecht wurde ihnen aberkannt. Nur die in anderen
Ländern Osteuropas vorgenommene Vertreibung und Racheakte des Staatsvolks, mit
dem sie jahrhundertelang friedlich zusammengelebt hatten, blieben den
Siebembürger Sachsen erspart.
Die evangelische Kirche durfte fortbestehen;
sie blieb in den schweren Jahren der kommunistischen Diktatur die halbwegs
intakte Einrichtung der Siebenbürger Sachsen, ihr letztes Refugium. Ab 1949
wurden auch die Maßnahmen gegen die Deutschen allmählich gelockert. Staatliche
deutsche Schulen, eine deutsche Zeitung, deutsches Theater wurden zugelassen.
1956 wurde den Rumäniendeutschen der Minderheitenstatus zuerkannt und die
Bauernhäuser oder Wohnungen für den Eigenbedarf (das heißt, nicht der gesamte
Besitz) zurückerstattet.
Trotzdem erfolgte eine radikale Veränderung der
sozioökonomischen Schichtung: Bis 1945 waren etwa 85 % der Rumäniendeutschen als
Selbständige tätig, darunter 70 % als Bauern. Nach knapp einem Jahrzehnt, 1956,
wies die erste Volks- und Berufszählung im kommunistischen Rumänien nur noch 22
% in der Landwirtschaft tätige Deutsche aus, die nun in den neuen, unrentablen
LPGs arbeiteten. Viele wurden zu Industriearbeitern, unverhältnismäßig hoch ist
die Zahl deutscher Hochschulabsolventen. Viele nun besitzlose Eltern opferten
sich auf, um ihren Kindern ein Studium zu ermöglichen. Doch auch diese einzige
Mitgift, die sie geben konnten, erwies sich als zwiespältig, denn gerade
Intellektuelle wurden im Kommunismus besonders verfolgt. Ein Hinweis auf den
Schriftstellerprozess oder auf die Verurteilung deutscher Studenten Mitte der
fünfziger Jahre kann das belegen.
Enteignung und Industrialisierung haben die
Bindung an den heimatlichen Boden zunehmend gelockert und das Verhältnis zum
rumänischen Staat nachhaltig zerrüttet, allerdings nicht jenes zum rumänischen
Volk, das sich in all den Jahren weitgehend tolerant und korrekt verhalten hat.
Versuche des kommunistischen Staates, wieder Vertrauen zu schaffen, blieben
fruchtlos. So gab Nicolae Ceausescu in seiner "Reformphase" der sechziger Jahre
frühere Fehler offen zu und ließ einen Rat der Werktätigen deutscher
Nationalität gründen, der die Minderheit vertreten sollte. Die spätere
Minderheitenpolitik des Diktators bestätigte aber das Misstrauen, das man diesen
Versuchen entgegenbrachte. Er sprach bald offen davon, dass er eine einheitliche
rumänische, überdies sozialistische Nation zu schaffen gedenke. Der Gebrauch
deutscher Ortsnamen wurde verboten, die geschichtlichen Leistungen weitgehend
verschwiegen, wie ein Blick in die damaligen Geschichtslehrbücher zeigt. Ein
Gesetz über den Schutz nationalen Kulturguts proklamierte ein Obereigentum des
Staates über jeglichen Besitz, private Bücher oder Möbel nicht ausgenommen. Die
immer unerträglicher werdende Diktatur mit ihrem Büttel- und Spitzelapparat
verstärkte die Sehnsucht nach Freiheit. Und auch das Streben nach
wirtschaftlicher Verwirklichung ist legitim.
All diese Faktoren erklären den
Wunsch der meisten Siebenbürger Sachsen, ihre Heimat zu verlassen. Zunächst ging
es um die Zusammenführung der im Krieg und in der unmittelbaren Nachkriegszeit
auseinandergerissenen Familien. Wehrmachtsangehörige, die nach dem Krieg nicht
mehr zurückkehren konnten, in die Sowjetunion Deportierte, die in Frankfurt an
der Oder freigelassen wurden, suchten ihre Angehörigen. Sieht man von der
einmaligen Aktion des Roten Kreuzes im Jahr 1951 ab, dank der rund tausend
Rumäniendeutsche nach Deutschland gelangen konnten, erlaubte das kommunistische
Regime erst ab 1958 einer nennenswerten Anzahl Siebenbürger Sachsen und Banater
Schwaben die Ausreise. Sie zogen ihrerseits Angehörige nach. Verwandtenbesuche –
nach Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und
Rumänien möglich – verstärkten die Sogwirkung.
Für die
Familienzusammenführung entwickelte sich ein "geregeltes Verfahren", in dem
materielle Interessen des rumänischen Staates eine nicht unbedeutende Rolle
spielten. Eine Beschleunigung der Ausreise, die aber immer noch mit vielerlei
Schikanen verbunden war, brachte die im Januar 1978 zwischen Bundeskanzler
Schmidt und dem rumänischen Diktator abgeschlossene Vereinbarung über die
erweiterte Familienzusammenführung, die jährlich etwa 11.000 Rumäniendeutschen
die Aussiedlung ermöglichte. Die Zahl der Anträge wuchs beständig, ungeachtet
der als erniedrigend empfundenen Festsetzung eines Entgelts für die
Ausbildungskosten des rumänischen Staates, die man als "Kopfgeld" und
"Sklavenhandel" bezeichnete.
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9. Ausklang
Bis zum Umbruch in
Rumänien im Dezember 1989 sind auf diese Weise insgesamt 242.326 Deutsche aus
Rumänien in die Bundesrepublik gekommen, davon etwa die Hälfte Siebenbürger
Sachsen. Schon während der letzten Jahre vereinsamten die Zurückgebliebenen.
Verwandte, Freunde, Nachbarn fehlten, Kindergärten und Schulen mussten wegen
fehlender Schüler geschlossen werden. Nur noch 96.000 Siebenbürger Sachsen
erlebten in Rumänien den Sturz des Diktators. Als danach die Grenzen geöffnet
wurden, gab es kein Halten mehr. In kürzester Zeit schrumpfte die Zahl der in
der Heimat verbliebenen Sachsen auf etwa 25.000. Die Zahlen der rumänischen
Volkszählung von 1992 (rund 100.000 sind dort als Deutsche ausgewiesen) sind in
diesem Zusammenhang etwas trügerisch.
Die in Siebenbürgen verbliebenen
Sachsen leben verstreut in Ortschaften mit meist weniger als 20 evangelischen
Gemeindemitgliedern. Zusammenhalt bietet neben der Kirche das Ende 1989
gegründete Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien, das auch im neuen
rumänischen Parlament vertreten ist und – mit Unterstützung durch die deutsche
Regierung – zahlreiche Maßnahmen zur sogenannten Stabilisierung der deutschen
Bevölkerung des Landes in die Wege geleitet hat, im wirtschaftlichem wie im
kulturellen Bereich, besonders im deutschen Schulwesen. Jedoch, die Jugend hat
das Land weitgehend verlassen, aktiv sind in Siebenbürgen die 55–70-jährigen.
Die siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaft in ihrer jahrhundertlang auf- und
ausgebauten Form geht ihrem Ende entgegen. Ein Neuanfang in der Diaspora ist
möglich. Er wird von der rumänischen Regierung ebenso gewünscht wie von den
ungarischen Mitbürgern, die beide den Verlust dieses ausgleichend-vermittelnden
Elementes im siebenbürgischen Raum vermissen. Doch hängt der Fortbestand, auch
dieser kleinen Gruppe, vor allem von den allgemeinen Rahmenbedingungen ab, nicht
zuletzt von der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung Rumäniens.
Die
Aussiedler streben in Deutschland nach Integration. Sie wollen, wie sie es
ausdrücken, als "Deutsche unter Deutschen" leben. Die relativ gute Kenntnis der
deutschen Sprache und die gute Berufsausbildung ebnen ihnen diesen Weg, die
eingangs angesprochenen Identitätsfragen sind marginal. In kurzer Zeit werden
sie zu – oft recht erfolgreichen – deutschen Staatsbürgern. Die Sehnsucht nach
der alten Geborgenheit in einer vertrauten und übersichtlichen Gemeinschaft
führt die vornehmlich älteren Siebenbürger Sachsen in landsmannschaftlichen,
kulturellen oder Heimatortsvereinen zusammen, die jüngeren passen sich im Alltag
und in der Aussprache schnell an und sind von ihren Mitbürgern nicht mehr zu
unterscheiden. Für sie ist bestenfalls das Interesse an der Herkunft, die Suche
nach den Wurzeln ein Bindeglied zur Heimat der Väter. Die Integration erfolgt
dabei im Wege der Identifikation mit der eigenen Vergangenheit, wie das
fortbestehende Interesse an Geschichte und Kultur des Herkunftsgebietes zeigt,
das sich in der Abnahme einschlägiger Geschichtswerke oder in eigenen Schul-
oder Hochschularbeiten mit siebenbürgischer Thematik artikuliert. Ob auf diese
Weise die Geschichte der Siebenbürger Sachsen weitergeht? Sie wird wohl ein
Kapitel im Buch der gesamtdeutschen Geschichte bleiben, mit Stichworten wie
"Wehrkirchen", "Städtewesen", "Mittler zwischen Ost und West", "Vermittler
zwischen den Völkern und Kulturen Siebenbürgens", "Freiheitsliebe" oder "gering
an Zahl, nie Staatsvolk, trotzdem unter wechselnden Regierungen über fast neun
Jahrhunderte die Identität bewahrt".
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10. Literatur
Die Donauschwaben.
Deutsche Siedlung in Südosteuropa. Hg.: Innenministerium Baden-Württemberg.
Sigmaringen 21989.
Gündisch, Konrad, 1998: Siebenbürgen und die Siebenbürger
Sachsen. München.
Klein, Karl Kurt, 1971: Saxonica Septemcastrensia.
Forschungen, Reden und Aufsätze aus vier Jahrzehnten zur Geschichte der
Deutschen in Siebenbürgen. Marburg .
Roth, Harald, 1996: Kleine Geschichte
Siebenbürgens. Köln, Weimar, Wien.
Roth, Stephan Ludwig: Gesammelte Schriften
und Briefe. Hg. Otto Folberth, 1927–1964, 7 Bände. Kronstadt.
Berlin.
Teutsch, Georg Daniel und Friedrich, 31907–1925: Geschichte der
Siebenbürger Sachsen für das sächsische Volk, 4 Bände.
Hermannstadt.
Urkundenbuch zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen, 7
Bände. Hg. Franz Zimmermann, Gustav Gündisch u. a., 1892–1991, Hermannstadt,
Bukarest.
Wagner, Ernst, (Hg.), 21981: Quellen zur Geschichte der
Siebenbürger Sachsen 1191–1975 . Köln, Wien.
Wagner, Ernst, 61990: Geschichte
der Siebenbürger Sachsen. Ein Überblick. Thaur bei Innsbruck.
Zimmermann,
Harald, 1996: Siebenbürgen und seine Hospites Theutonici. Vorträge und
Forschungen zur südostdeutschen Geschichte. Köln, Weimar, Wien.
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